„Wir sind eure Hauptstadt, ihr Bauern“, sang Chen Zhibin – mal wieder einige topografische Schwächen offenbarend – und tanzte mit freiem Oberkörper vor der Bank der saarländischen Gäste aus Wehrden, mit einem kühlen Siegerbier in der einen und einer dicken Sportzigarette in der anderen Hand. Wir hatten zwei Doppel gewonnen, nach drei Spielen stand es 2:1, und alles sah nach einer Demontage des Tabellenführers aus. „Es riecht nach einer Sensation“, unkte Lokführer Marco G. und rümpfte die Nase: Der kleine David hatte wohl ein Bäuerchen gemacht. „Gaga“, gluckste der Pennäler, noch leicht zuckergeschockt von der rauschenden Geburtstagsparty am Tag zuvor, anlässlich seines elften Jahrestags (Helau!). Eine halbe Stunde später gluckste, hüpfte und sang niemand mehr; stattdessen viele lange Gesichter, vor allem bei Nicolas, wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob er wirklich ein langes Gesicht hat, wo er ja recht groß, aber wohlproportioniert ist!? Auf jeden Fall: Schiesemiese. 2:9 gegen Wehrden, und am Tag danach ein 6:9 in Wirges, insgesamt: null Siege, null Punkte, null Freunde. Ich ziehe mein Like für diese Mannschaft zurück.
Wir hatten unsere eigentlichen Opfer David und Sebastian gegen Wehrden nicht ins dafür vorgesehene Doppel zwei gepackt, sondern mich und Marco, clever. Dann allerdings verlor Chen Zhibin, der im Hinspiel zweimal gewonnen hatte, zweimal, oder noch öfter, Nicolas war gegen Semenov dran, gegen Fischer leider ohne Chance, ich war im fünften Satz, umsonst, Marco nicht, trotzdem umsonst, Sebastian verlor gegen Mabey und David gegen Schwarz. „Groupfail!“, textete der verhinderte Bryan aus Peru. Er verpasste auch die geglückte Bewerbung der gegnerischen Nummer sechs für den Manfredas Udra-Gedächtnispreis, „Traktorensound ohne Traktor: Zum Brüllen!“, wie es in der Ausschreibung heißt. Ich hatte im Anschluss eine furchtbare Nacht, weil ich die ganze Zeit erwartete, dass der junge Mann jeden Moment aus meinem Kleiderschrank herausspringen würde, „Tschoallez!, Tscho!, Tscho!“ kreischend, und dann mit erhobener Faust ein paar Runden durch mein Zimmer drehen würde. Irgendwann schlief ich dann aber doch ein. Eingemummelt in meinen RSV-Schlafsack träumte ich, dass wir alle auf einem großen Schiff wären: Die Sonne schien, der Wind blies uns ins Gesicht, wir segelten durch die Wellen, Chen Zhibin sang Seemannslieder, Marco war ein Äffchen und kletterte in der Takelage herum, Nicolas guckte aus dem Ausguck, ich verschlang den neuen Twilight-Roman („Chen Zhibiss“), und am Steuerrad stand Claus, drehte sich hin und wieder um und rief fröhlich: „Alles klar, Kinder?“, und wir dann: „Aye Aye Captain!“.
Aber dann wachte ich um halb sieben auf und fand mich wenig später mit unseren Ein-Euro-Jobbern Yves und Oliver auf dem Weg in den Westerwald wieder. Ich wusste: Ich will wieder ins Opferdoppel, denn da gehöre ich hin, nicht auf die See. In Wirges angekommen, „das ist ja auch eine Kohlart“, schlaumeierte Nicolas, starteten wir ähnlich gut wie am vorigen Tag, 2:1 aus den Doppeln. Und dann das Gleiche im Anschluss: Nachdem wir die erste Einzelrunde hinter uns hatten (5:4), ließ Chen Zhibin ein Jägermeistertablett kreisen, und dann gab er gegen Müller, den Nicolas zuvor sensationös besiegt hatte – darauf einen Mexikaner –, noch ein 10:7 ab, genauso wie Marco in seinem ersten Einzel. Tschauimahaui, Auswärtssieg. Tschauimahaui, Regionalliga, bis dahin immer noch das Geheimziel der Thekentruppe vom Haybach.
„Zurzeit sind wir nicht mehr als ein Erste-Herrengedeck“, analysierte Mannschaftssprecher Yves gewohnt spitzzüngig fürs Lokalradio. Abteilungsvize Stevie Cool ließ ausrichten, dass, wenn ihm das jemand vorher gesagt hätte, er sehr wütend geworden wäre und seinen Mittagscrazycocktail gegen die Wand gepfeffert hätte, und zwar mit schallendem Gelächter. Marco wetterte, dass wir gerade nicht die junge Union seien, in der jeden für den anderen bete, sondern ein zusammengewürfelter Haufen, der nun in einer kniffligen Situation bestehen müsse. Und ich, ich ging wieder einmal traurig ins Bett, den alten Kleiderschrank wachsam im Auge, und träumte von peitschenden Wellen, rauem Wind und warmer Sonne. Ich träumte vom Meer.
Von
David Weber